Beitrag von Isabelle Dahinden für zentralplus, hier geht es zum Original

16. Januar 2022

Auch wenn mehr Frauen Opfer häuslicher Gewalt sind: Mehr als jedes vierte Opfer ist männlich. Schutz finden Betroffene im Männerhaus Luzern des Vereins Zwüschehalt. Wir haben die beiden Leiter des Männerhauses getroffen.

«Ich war von Anfang an der Verdächtige. Weil ich der Mann bin und sie die Frau»: Das sagt ein junger Familienvater, der von seiner Frau psychisch terrorisiert worden ist. Plötzlich standen zwei Polizisten vor der Tür und wollten mit ihm reden. Erst später auf dem Polizeiposten erfuhr er, warum in die Polizisten abführten: Eine Kollegin seiner Frau habe sich bei der Polizei gemeldet. Sie behauptete, dass er seine Frau bedrohen würde, dass er böse sei.

«Sie wollte mich einfach aus der Wohnung haben und hat das mit ihrer Freundin geplant», erzählt der Mann gegenüber der «Sonntagszeitung». Dabei war es die Frau, die ihn fertigmachte und den gemeinsamen Kinder Gewalt zufügte. Der betroffene Mann suchte schliesslich Zuflucht im Männerhaus des Vereins Zwüschehalt in Zürich.

Der Verein betreibt drei Schutzorte für Männer, die psychisch, physisch oder wirtschaftlich misshandelt wurden. Ein Männerhaus gibt’s in Zürich, eines in Bern – und eines in der Stadt Luzern.

Auch Männer leiden unter häuslicher Gewalt – doch zu oft gucken wir weg

Sprechen wir über häusliche Gewalt, so haben wir meistens Bilder von Frauen im Kopf, die Gewalt in den eigenen vier Wänden erleben. Es ist eine Tatsache: Die meisten Opfer sind Frauen. Doch genauso können auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen sein. Gemäss dem Bundesamt für Statistik ist mehr als jedes vierte Opfer männlich.

Wir wollen auf diese Seite blicken und treffen uns deswegen mit Manfred Schneeberger, dem Leiter des Männerhaus in Luzern und seinem Stellvertreter Stefan Kuster. An einem eiskalten Dezembertag setzen wir uns im 8-Zimmer-Haus an den Küchentisch. Den genauen Standort geben wir hier nicht bekannt – damit die Betroffenen geschützt bleiben.

Schneeberger und Kuster ist wichtig: Wenn wir von häuslicher Gewalt sprechen, so können Frauen als auch Männer die Opfer sein. Das solle man sich immer wieder bewusst machen. «Mehr als 30 Prozent der Opfer sind Männer – das ist genug, um es zum Thema zu machen.» Schliesslich sei jedes Opfer eines zu viel – ob Mann oder Frau. Dass auch Männer unter Gewalt leiden, das werde viel zu wenig beleuchtet. Oder Gesellschaft und Behörden wollen es vielleicht nicht immer wahrhaben.

Ein Austausch mit dem Frauenhaus findet ebenfalls nicht statt, was Schneeberger und Kuster bedauern. «Wir hätten ja ein gemeinsames Thema», so Kuster. Schliesslich würde es uns alle etwas angehen, wie man Gewalt verhindern könnte. «Denn momentan bekämpfen wir ja nur die Symptome.»

Gewaltbetroffene Männer werden nicht immer ernstgenommen

Gewaltbetroffene Männer würden oft nicht ernstgenommen werden. Schneeberger erzählt von einem Mann, der von seiner Frau am Hals gewürgt wurde. Er rief die Polizei, doch diese meinte, dies sei eine Sache zwischen dem Paar. Schneeberger schüttelt den Kopf. Er sieht ein, dass es auch für die ausgerückten Polizistinnen nicht einfach ist. Schliesslich müssen sie einen Entscheid fällen, ohne dass sie die genauen Hintergründe kennen würden.

Er erzählt von einem anderen Mann, der elf Jahre in einer Beziehung mit einer Frau war, die ihn geschlagen und auch mit einem Messer verletzt hat. «Sie hat ihn auch psychisch misshandelt.» Eines Tages brachte er den Mut auf, sich Hilfe zu suchen. Er fand über die Opferberatungsstelle ins Männerhaus.

«Zu oft wird hinterfragt, wenn ein Mann erzählt, von häuslicher Gewalt betroffen zu sein.»

Stefan Kuster

«Es ist oft so, dass der Mann unter Pauschalverdacht steht», so Kuster, der auch als Männerberater in Luzern tätig ist (zentralplus berichtete). Wenn Polizei und Behörden an der Türschwelle stehen, hinter der es zur häuslichen Gewalt gekommen ist, so werde nicht selten der Mann weggewiesen. Dabei seien ja immer zwei Menschen beteiligt in einer Beziehung, in der es zu Streit und Gewalt kommt.

Manche Männer würden von ihren Partnerinnen derart an die Wand gedrängt, dass sie sich ausgeliefert und hilflos fühlen. Zuzuschlagen sehen sie dann als letzte Möglichkeit, um aus der Situation auszubrechen. Quasi als Ultima Ratio – auch wenn Gewalt natürlich nicht die Lösung sein kann. «Viele Männer fühlen sich in solchen Situationen überfordert», sagt Schneeberger. Diesen Eindruck hat er auch in seiner Praxis, wo er als Mediator Paare bei der Scheidung begleitet. «Doch zu selten wird genau hingeschaut, was zum Gewaltausbruch führte. Oder zu oft wird hinterfragt, wenn ein Mann erzählt, von häuslicher Gewalt betroffen zu sein», so Kuster.

Im Männerhaus finden Betroffene Schutz – und Ruhe

In diesem Sommer ist das Männerhaus in Luzern umgezogen – und hat seither mehr Platz. Nun stehen sechs Betten für erwachsene Männer bereit und zusätzliche Betten für deren Kinder. Den Platz braucht es – auch wenn das Männerhaus nicht immer voll ausgelastet ist. Zuvor hatte der Verein Zwüschehalt seit 2017 eine 5,5-Zimmer-Wohnung in der Stadt. «X Mal musste ich hilfesuchende Männer abweisen oder an andere Kantone verweisen, weil wir zu wenig Platz hatten», sagt Schneeberger. Das ging nicht spurlos an ihn vorbei. «So wie es mir auch wehtut, wenn jemand nachts auf unser Handy angerufen hat, womöglich die Nacht draussen verbringen musste, wir das aber erst am anderen Morgen sehen.»

Das Männerhaus Luzern hat keine 24/7 Betreuung. Schneeberger und Kuster arbeiten nebenamtlich in kleinem Pensum. Der Verein Zwüschehalt ist vollständig auf Spendengelder angewiesen, weil er keine staatliche Unterstützung erhält.

««Betroffene Männer leiden eher unter psychischer als physischer Gewalt.»

Manfred Schneeberger

Einige der Männer bleiben nur ein paar Tage, andere ein paar Wochen – und manche sogar Monate. Schneeberger erzählt von einem jungen Mann, der von Schweizer Eltern adoptiert wurde. Von ihnen sei er finanziell ausgenommen worden. Er war psychisch belastet, fand lange Zeit keinen Job. Im Männerhaus konnte er zur Ruhe kommen. Nun verlässt er nach fast einem Jahr Aufenthalt das Männerhaus. Er hat einen neuen Job und eine Wohnung gefunden. Bei einem anderen Mann kam es in der Beziehung immer wieder zu Gewalt – von beiden Seiten her. Schliesslich musste er das Zuhause verlassen, so entschieden es die Behörden. Auch er fand im Männerhaus Zuflucht.

Ziel des Männerhauses: Männer aus schwierigen häuslichen Situationen nehmen. «Wir bieten ihnen im Männerhaus Schutz. Die Männer sollen hier zur Ruhe kommen, Kraft tanken – und Zeit finden, sich neu orientieren zu können», so Kuster.

Oft steckt psychische Gewalt dahinter

Wann suchen Männer Hilfe? Tendenziell wohl eher spät, antwortet Kuster. «Die Hemmschwelle ist bei Männern nochmals grösser. Viele sehen sich selbst gar nicht als Gewaltbetroffene. Sie wollen es nicht wahrhaben – oder nicht zugeben, dass sie zuhause eine Form von Gewalt erleben.» Nicht selten seien es darum die Angehörigen der Betroffenen, die sich beim Männerhaus melden, weil sie sich sorgen.

Schneeberger erzählt von gewaltbetroffenen Männern, die sich von ihren Kollegen einiges anhören müssen. «Etwa die Frage: Warum hast du nicht einfach zurückgeschlagen?» Erleben Männer häusliche Gewalt, so geschehe dies oftmals subtiler. «Betroffene Männer leiden eher unter psychischer als physischer Gewalt.»

Nach Weihnachten nehmen die Anfragen beim Zwüschehalt zu

Im Männerhaus – besonders in der Küche oder im Wohnzimmer – finden immer wieder Männer zusammen, die sich über ihre gemachten Erfahrungen austauschen. «Ich staune immer, wie offen sie miteinander sprechen», sagt Schneeberger. «Aber sie sitzen nun mal im selben Boot, haben ähnliche Erfahrungen durchlebt und können sich hier in einem geschützten Rahmen miteinander austauschen.»

Auf die Weihnachtszeit blickt er mit Sorgenfalten. Die letzten Jahre hätten gezeigt, dass gerade nach den Festtagen mehr Männer Hilfe suchen. «Das Fest der Liebe …», sagt Schneeberger noch. Leider bleibt davon nicht immer viel übrig.