April 27

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Alles, was ich schon immer über Sex wissen wollte, aber nie zu fragen wagte


Fernando Kumani | 26.04.2025

Anm. d. Red.: Der Autor dieses Beitrags hat uns gebeten, seinen Artikel unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, da persönliche Offenbarungen über Sexualität in seiner beruflichen Position heikel sind. Gerade dies zeigt, wie stark das Tabu rund um Sexualität bis heute ist. Umso grösser unser Dank für diesen mutigen, offenen Text.

Sexualität: Mein intimstes Abenteuer

Sexualität ist für mich eines der faszinierendsten und auf den ersten Blick widersprüchlichsten Themen meines Lebens. Nirgendwo bin ich so nackt und gleichzeitig so verhüllt. Nirgendwo so angezogen und abgestoßen, so freudig und beschämt. Lange war Sexualität für mich ein dunkler, verworrener Raum, den ich allein erkundete. Heute ist sie mehr: ein Raum von Begegnung, Heilung und Wahrheit.

Meine ersten Erfahrungen mit Sexualität machte ich über Pornografie. Über Bilderfluten, die mich reizten, überforderten und zutiefst verwirrten. Ich verstand damals noch nicht: Hier geht es nicht um mich, nicht um Gefühle, sondern um Oberflächen und Rollen. Und ich saugte es in mich auf, weil ich nichts anderes kannte.

Erst viel später begann ich, meine Sexualität wirklich zu erforschen. Was ich fand, war oft schmerzhaft, manchmal schockierend, aber letztlich befreiend.

Früher: Suchender in einem Labyrinth

Warum ich Pornos schaute

Die Lust und die Stimulation waren offensichtlich. Aber tief darunter befand sich eine Sehnsucht. Nach Hingabe, nach echter Berührung, nach einer Liebe, die als Kind nicht erfüllt wurde. Die Frauen auf dem Bildschirm waren Projektionen meines unerfüllten Bedürfnisses nach bedingungsloser Hingabe.

Das Missverständnis der Hingabe

Lange wusste ich gar nicht, wie sich echte Hingabe anfühlt. Eine Frau, die sich im Porno mit gespreizten Beinen präsentiert, erscheint auf den ersten Blick hingebungsvoll. Doch ich erkannte: Das ist eine Verwechslung. Diese Art von physischer Offenheit ist wie Methadon — ein Ersatz, nicht die wahre Qualität von Hingabe. Absichtslose, liebevolle Hingabe hatte ich nie wirklich erfahren. Mein System griff nach dem, was es erreichen konnte, auch wenn es nicht das Echte war.

Der Konkurrenzkampf mit meinem Vater

Es überrascht nicht, dass Kategorien wie MILF und Stepmom für mich besonders anziehend waren. Dahinter verbarg sich der unbewusste Schmerz der Mutterbindung, die nie erfüllt wurde. Und noch eine weitere Dynamik wurde mir bewusst: Ich lebte darin unbewusst auch den Konkurrenzkampf mit meinem Vater aus. Als Kind hatte ich mich nach der ungeteilten Aufmerksamkeit meiner Mutter gesehnt, in einem stummen Wettstreit mit meinem Vater, der selbst nicht die Reife und Präsenz besaß, um als starker Partner und Vater da zu sein. Dieser unerlöste Kampf um Liebe und Bestätigung fand im Verborgenen statt — und spiegelte sich später in meinen sexuellen Vorlieben.

Auf der Suche nach männlicher Präsenz

Auch mein gelegentliches Bedürfnis nach Sex mit Männern hatte weniger mit Homosexualität zu tun als mit der Suche nach väterlicher Nähe, nach männlicher Präsenz, die ich als Junge vermisst hatte.

Flucht in unverbindlichen Sex

Ich suchte manchmal unverbindlichen Sex, weil ich Lärm über meine Gefühle legen wollte. Körper konnte ich näher an mich lassen als Herzen. Und für einen Moment spürte ich Bestätigung, ohne mich wirklich öffnen zu müssen. Früher definierte ich mich darüber, eine Bombe, ein Hengst im Bett zu sein und Frauen zu befriedigen, ihnen einen Orgasmus nach dem anderen zu besorgen, so dass sie mich nie vergessen würden und in eine Abhängigkeit kamen. Ich benutzte sie für meine eigene Bestätigung, zur Aufwertung meines tiefen Selbstwertgefühls. Dabei war ich innerlich verschlossen, betäubte meine eigene Verletzlichkeit und fühlte mich danach leer. Es war eine Sucht. Ich überhörte meinen inneren Schrei nach echter Nähe.

Dominanz und Unterwerfung

Dominanz und Unterwerfung waren für mich zwei Seiten derselben Medaille. Mal suchte ich die Kontrolle, die ich früher nie hatte. Mal wollte ich meine Ohnmacht endlich fühlen dürfen, ohne sie abwehren zu müssen.

Das ungestillte Bedürfnis an mich selbst

Auf einer tieferen Ebene erkannte ich: Es ging nicht nur um das ungestillte Bedürfnis des Kindes in mir — nach Präsenz, nach Führung, nach Annahme. Es ging auch um das ungestillte Bedürfnis an mich selbst. Ich sehnte mich nicht nur nach der Kraft und Präsenz meines Vaters. Ich sehnte mich nach meiner eigenen inneren Kraft, nach meiner eigenen Fähigkeit, mich selbst führend und liebevoll zu halten.

Heute: Forscher meines eigenen Herzens

Nachdem ich lange im Außen gesucht hatte, begann eine neue Reise: die nach innen.

Ein neuer Zugang zu meinem Körper

Mit der Zeit lernte ich meinen eigenen Körper neu kennen. Mein Penis, früher reines Werkzeug zur Befriedigung, wurde zu einem Sensor für Energie und Emotionen. Ich begann, meine Partnerin immer mehr wahrzunehmen: feine Verspannungen, Gefühle, manchmal sogar innere Bilder, die sich später in unserem Austausch als erstaunlich treffend herausstellten. Diese wachsende Sensibilität war ein weiterer Schritt in eine Welt jenseits des rein Körperlichen.

Stillstand statt Bewegung

Mit dieser zunehmenden Wahrnehmung veränderte sich auch unser Liebesspiel. Ich entdeckte, wie kraftvoll es ist, beim Sex einfach zu sein, verbunden zu bleiben, ohne Eile, ohne Ziel. Zehn, zwanzig Minuten in Stille vereint — und dabei tiefer zu kommunizieren als je zuvor.

Sexuelles Tai Chi

Was zunächst kleine Impulse über die Beckenbodenmuskulatur waren, wurde zu einer neuen Dimension: eine Art „sexuelles Tai Chi“. Ich staunte, als meine Partnerin auf feinste Impulse von Licht, Wärme und Energie ohne sichtbare Bewegung stark reagierte. Gemeinsam erlebten wir bewegungslose Orgasmen, getragen von einer Energie, die weder stoßend noch fordernd war, sondern fließend und still. Es war, als wären wir in neue Ebenen des Austauschs vorgedrungen.

Der bewusste Energiekreislauf

Mit dieser Entdeckung wandelte sich mein gesamtes Erleben von Sexualität. Früher fühlte ich mich nach dem Sex oft ausgelaugt und leer, mein Verlangen kehrte schnell zurück. Heute, wenn ich bewusst mein Herz öffne, atme ich beim Liebesakt über den Penis zu meiner Partnerin aus und über mein Herz von ihr ein. Ich erkannte, dass mir bis dahin gar nicht den Mut hatte, die Liebe meiner Partnerin anzunehmen. Dies ermöglichte nun einen Kreislauf: ein achtsames Geben und Empfangen auf tiefster Ebene. Und plötzlich blieb die Energie. Ich fühlte mich nicht mehr ausgehöhlt, sondern erfüllt — manchmal noch tagelang.

Energetische Durchlässigkeit

Mit der wachsenden Sensibilität spürte ich auch, wie sehr Sexualität ein gegenseitiges Sich-Durchdringen bedeutet. Ich hatte lange gehört, dass Frauen beim Koitus die Energie des Mannes aufnehmen. Doch mit wachsender Achtsamkeit erlebte ich: Auch als Mann nehme ich die Energie der Frau in mich auf. Nach manchen Begegnungen trug ich fremde Gefühle, Bilder und Themen in mir, die mich tagelang begleiteten. Diese Erfahrung zwang mich zu einer neuen Wachheit: Wem öffne ich mich? Wessen Energie nehme ich in mich auf — und wessen nicht?

Sexualität als bewusster Raum

Herzöffnung als Grundlage

Wirkliche Erfüllung erlebte ich erst, als ich mich öffnete — mich zeigte, verletzlich wurde, zu Beginn über Gefühle und Bedürfnisse sprach. Die Qualität der Sexualität veränderte sich dadurch grundlegend: Verbindung trat an die Stelle von Funktionieren.

Sex und Manifestation

Mit der wachsenden Bewusstheit entdeckte ich noch eine weitere Dimension: die Kraft der Absicht in der Sexualität. Eher zufällig wünschte ich mir während einer Begegnung mehr Vertrauen von meiner Partnerin — und kurz darauf sprach sie genau dieses Vertrauen aus, ohne dass ich mein Bedürfnis ausgesprochen hätte. Das ließ mich aufhorchen. Ich begann bewusster mit Intentionen in den Sex zu gehen — kleine Herzenswünsche, leise Gedanken. Immer wieder beobachtete ich, wie sich diese Impulse nicht nur während, sondern auch noch Tage später in meinem Leben entfalteten. Es schien, als ob der Moment des Orgasmus — getragen von Präsenz und Liebe — eine Art Manifestationskraft hatte.

Der Orgasmus wird nebensächlich

Und gleichzeitig, auch trotz oder gerade wegen dieser neuen Dimension des Manifestierens, verblasste allmählich der alte Orgasmusdruck. Im Vordergrund steht heute die Verbindung — der Orgasmus ist eine schöne, aber nicht zwingend notwendige Krönung.

Vom Funktionieren zum Fühlen

Früher war Sexualität für mich oft Flucht, Ablenkung, Stimulation, Kompensation. Heute ist sie für mich Verbindung, Meditation, Präsenz — ein Raum für Heilung und Manifestation. Und trotzdem: Sie bleibt auch heute Freude, Gwundrigkeit, Entdeckungsreise und Sinnlichkeit.

Ich bin noch unterwegs. Und vielleicht werden wir es immer sein.

 

 

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