Pablo Hess | 26.07.2025
Eine kleine Reise zu dir selbst und zu deiner Beziehungskultur
1991 veröffentlichte Ken Wilbers das Buch „Mut und Gnade“ (Originaltitel: „Grace and Grit“). Darin beschreibt er eindringlich die gemeinsame Reise von Ken und Treya Wilber durch Krankheit, spirituelle Suche und Liebe. Das Werk durchdringt nicht nur den Verlauf von Treyas Krebserkrankung und die unterschiedlichen Therapien, sondern schildert auch die Suche beider nach Sinn, Akzeptanz und innerem Wachstum.
Am Ende stirbt Treya nach fünfjährigem Kampf gegen den Krebs. Ihr Tod ist geprägt von Würde, Bewusstheit und einer tiefen Annahme des Unvermeidlichen. Für Ken Wilber und alle, die Treya kannten, bleibt sie ein Vorbild an Mut, Lebensfreude und Gnade.
Das Buch ist eine Hommage an eine aussergewöhnliche Frau und eine berührende Liebesgeschichte, die zeigt, wie Menschen mit Liebe, Spiritualität und innerer Kraft selbst schwerste Schicksalsschläge bewältigen können.
Tod als bewusster Schritt
Treyas Tod wird nicht als Niederlage beschrieben, sondern als bewusster, würdevoller Schritt, getragen von innerem Frieden. Sie verabschiedet sich mit Dankbarkeit und Liebe, was Ken Wilber und den Freundeskreis nachhaltig prägt. Aus dieser Erfahrung schöpft Ken einen neuen Sinn und tiefe Dankbarkeit.
Eine Hymne an das Leben
„Mut und Gnade“ ist weit mehr als ein Bericht über Krankheit und Tod. Es ist eine Hymne an das Leben, die Liebe und den Mut. Das Buch inspiriert dazu, Krisen als Chancen für Wachstum zu begreifen und dem Leben mit offenem Herzen zu begegnen. Die Geschichte von Ken und Treya Wilber bleibt als ehrliches, bewegendes und hoffnungsvolles Zeugnis zurück: Liebe, Bewusstheit und Akzeptanz können selbst angesichts des Todes einen tiefen Sinn schenken.
Inspiration für heute
Heute inspiriert mich das Buch von Ken Wilber aufs Neue. Es öffnet mir ein Fenster in eine Beziehungskultur, der ich aufs Tiefste verbunden bin – ohne sie wirklich zu kennen. Es fühlt sich an wie déjà vu – und dennoch kann der Verstand es kaum beschreiben.
Warum Mut und Gnade? Mut ist die Kraft, neue Wege zu wagen, ehrlich zu sich selbst und anderen zu sein und auch Unbequemes auszusprechen. Gnade ist das Band, das uns verbindet, auch wenn wir scheitern, das Verständnis, das uns erlaubt, Fehler als Lernschritte zu begreifen und die Vielfalt menschlicher Wege zu würdigen. Zusammen nähren sie Beziehungen – Tag für Tag.
Diese, bewusst oder unbewusst, gelebte Verbindung von beidem, ist für mich ein Juwel für gelingende Beziehungen. Immer wieder habe ich gesucht, was denn wohl ein dienliches «Werkzeug» für aufrichtige und lebendige Beziehungen sein könnte. Konzepte und Strategien helfen da wenig. Mutiges und selbstverantwortliches Einlassen auf die Beziehung, öffnet Raum für Entwicklung. Es braucht Gnade, die Eigene und die Geschichte der PartnerIn anzuerkennen und mit einzubeziehen. Fernab von Richtig und Falsch fördert dies eine tief verankerte Wertschätzung für das Wunder des Individuums.
Tatsächlich erlebe ich die Qualität der bewussten Integration von Mut und Gnade in jeder Begegnung. Auch ausserhalb von Liebesbeziehungen kann ich Menschen mit Mut begegnen:
- wo ich aufrichtig zu meiner Wahrheit stehe, ohne sie zur Wahrheit anderer machen zu müssen
- wo ich mich zumute, auch unangenehme Wahrnehmungen auszusprechen
- wo ich meine Angst und meine Verletzlichkeit zeige, ohne mich dafür zu schämen.
Das alles braucht Mut, den ich uns allen, besonders auch vielen Führungskräften und Politikern wünsche.
Gnade bedeutet:
- nicht Recht haben zu müssen
- andere Meinungen als spannende Erweiterung zu erkennen
- nicht überall stark sein zu müssen
- Schicksale anzunehmen, als Einladung für Botschaften aus einer höheren Ebene.
Heute bin ich bereit, Menschen in meinem Umfeld «loszulassen», die mich in meinem Wesen und meinem Zumuten nicht verstehen oder akzeptieren können. Gleichzeitig lade ich Menschen mit Ecken und Kanten ein, mich herauszufordern, zu hinterfragen und aufrichtig zu spiegeln. Ich habe gelernt, dass all meine Vorstellungen, wie ich oder andere Menschen sein sollten, einfach nur Vorstellungen sind und mit der Wahrheit und mit der Sinnhaftigkeit oft wenig zu tun haben.
All diese Erfahrungen und Qualitäten haben mich weicher und durchlässiger gemacht. Ich habe viel erfahren, was ich früher von mir gewiesen habe und bin dadurch reicher geworden. Das Leben bekommt so deutlich mehr Farbe und Möglichkeiten. Darüber freue ich mich und bin dankbar.
Was sind DEINE Erfahrungen mit Mut und Gnade?
Herzlichst Pablo