Oktober 5

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Unternehmen ohne Hierarchie!?


Peter Wyss | 05.10.2022 

Wenn es keine Hierarchie gibt — wer soll dann entscheiden? Dass Unternehmen ohne Führungskräfte auskommen und dabei nicht nur handlungsfähig bleiben, sondern äusserst erfolgreich wirtschaften, ist nur einer kleinen Minderheit von Menschen im Business bekannt.

Es funktioniert in der Praxis...

«Es funktioniert in der Praxis, aber ob es auch in der Theorie funktioniert, ist nicht bewiesen.»

Ursprünglich hatte ich vor, in meinem Buch mehr als 80 Unternehmen des neuen Paradigmas zu beschreiben – bis mir der Verlag zu verstehen gab, mich auf ein paar wenige Beispiele zu beschränken, und so blieben am Schluss noch 14 Firmen übrig, die ich im dritten Teil des Buchs vorstelle. Fazit: Es geht wirklich ohne die übliche Hierarchie – und wie! Auch wenn die Beispiele von erfolgreichen Unternehmen ohne Hierarchie in der Öffentlichkeit nicht bekannt sind – es gibt sie doch. Die Firma Buurtzorg in Holland hat 15 000 in Zwölferteams organisierte Mitarbeitende, 50 Personen in der Administration, 20 interne Coaches und 0 (null) Manager. Studien von Ernst & Young und KPMG belegen den Erfolg: Höchstwerte in Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, und wenn alle wie Buurtzorg arbeiten würden, könnten in Holland 2 Milliarden Euro pro Jahr eingespart werden.

Wenn es keine Hierarchie gibt – wer soll dann entscheiden?

Hierarchiefreie Unternehmen sind so organisiert, dass alle Mitarbeitenden klare Rollen haben, mit den dazugehörenden Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Jede/r Rollenträger/ in entscheidet selbstständig über die rollenspezifischen Geschäftsvorfälle. Wenn die Entscheidung über die eigene Rolle hinausgeht und andere Rollen tangiert, wird die Entscheidung gemeinsam mit den anderen Betroffenen gefällt. Und wenn die Entscheidung von übergeordneter Bedeutung ist, trifft das Team die Entscheidung gemeinsam. Im Grunde aber entscheidet die von allen geteilte Vision, die der Leitstern ist und nach der sich alle Entscheidungen ausrichten. Diese Vision wird gemeinsam mit allen Mitarbeitenden periodisch überprüft und ggf. angepasst.

Das hierarchische Modell hat viele Nachteile

Burnout, mangelhaftes Engagement der Mitarbeitenden, Dienst nach Vorschrift, Überlastung der Vorgesetzten, Bevormundung: das hierarchische Modell hat viele Nachteile. Warum halten wir dann daran fest? Weil wir auf Hierarchie konditioniert sind und uns seit Kindsbeinen so daran gewöhnt haben, dass wir uns ein Leben ohne Hierarchie kaum vorstellen können. In der Familie bestimmen die Eltern, in der Schule die Lehrpersonen, im Militär die Offiziere, im Betrieb die Vorgesetzten, in der Politik die Regierungen. In der Schweiz haben wir mit der direkten Demokratie zwar ein einzigartiges, nicht hierarchisches Modell, das den Unternehmen als Vorbild dienen könnte, aber es wird erst von sehr wenigen Firmen kopiert. Dabei müsste nur der demokratische Entscheidungsprozess mit Mehrheit und Minderheit durch ein dem Business angepasstes Entscheidungsprozedere ersetzt werden – das Mindset mit seinem Menschenbild der mündigen Bürgerinnen und Bürger kann hingegen 1:1 übernommen werden.

So gelingt die Transformation zur Hierarchiefreiheit

Es braucht zwei Elemente: ein neues Mindset (Denkhaltung) und neue Methoden (System, Prozesse). Eine nachhaltige Transformation braucht die luftige und die erdige Dimension, denn das Verhalten der Menschen in der Firma ist das Resultat von Mindset und Methode, also der Unternehmenskultur. Die erste rote Kurve (1) stürzt sofort ab auf den Boden der Veränderung des Systems und der Methoden, ohne eine Transformation von Mindset und Denkhaltung (siehe Abb. 1). Die zweite rote Kurve (2) geht zwar hoch zu Mindset und Verhalten, bleibt aber ohne Verankerung im Boden, da System und Methoden nicht angepasst werden. Erst die blaue Kurve (3) ist nachhaltig, denn sie umfasst sowohl die Transformation des Mindsets als auch die Veränderung des Systems, der konkreten Methoden. Damit Unternehmen hierarchiefrei funktionieren, braucht es das entsprechende Mindset und die dazu passenden Methoden – sonst gelingt die Transformation nicht.

Um welches Mindset und um welche Methoden geht es konkret?

Neues Mindset:

  • Teamzentriertes Gemeinschaftswerk
  • Menschen können sich selbst organisieren und wollen Verantwortung übernehmen, sie brauchen einfach das Vertrauen in die Umstellung und eine gute Begleitung


Neue Methoden:

  • Volle Transparenz
  • Beteiligung der Mitarbeitenden
  • Kreisorganisation und rotierende Standardrollen
  • Entscheidungsprozesse «Konsent» und «Widerstandsabfrage»
  • Drei Arten von Meetings (nicht nur operative ...)
  • Entscheidungskompetenz bei Rollenträgern = weniger Meetings
  • Verbindlichkeit dank Mini-Verträgen
  • «Time for you»-Gespräche

In meinem Buch führe ich diese und weitere FLOW-Praktiken im Detail aus.

Führung braucht’s, Hierarchie nicht

Bezüglich Führung und Hierarchie gibt es zwei weitverbreitete Irrtümer. Der erste ist, Hierarchiefreiheit mit Führungslosigkeit gleichzusetzen. Dabei bedeutet Hierarchiefreiheit nicht, dass es in der Firma keine Leader/innen mehr gibt, sondern dass im Idealfall alle zu Leader/innen werden. Und der zweite ist, dass nicht unterschieden wird zwischen der Führung von Menschen und der Führung von Prozessen und Abläufen. Ja, Prozesse und Abläufe müssen diszipliniert geführt werden – Menschen nicht. Götz Werner, der Gründer von dm-drogerie markt, sagt dazu: «Menschen zu führen ist nur dann legitim, wenn das Führen der Menschen die Selbstführung zum Ziel hat.»

Im neuen Paradigma der Augenhöhe gibt’s weder Menschenführung noch Hierarchie, dafür eine disziplinierte Führung von Prozessen und Abläufen sowie eine Kultur der Verbindlichkeit, denn je agiler eine Organisation ist, desto mehr braucht es Orientierung, Systemsicherheit und Übernahme von Verantwortung. Sonst droht das Chaos.

Checkliste: Wie Hierarchien abbauen?

  1. Informationen beschaffen und Thema in der Geschäftsleitung diskutieren: z.B. Buch «Hierarchiefrei ist besser!» lesen (siehe Buchtipp).
  2. Diskussion und Klärung im Führungsteam: Welche Form ist für unsere Firma geeignet? Wie wollen wir vorgehen?
  3. Sobald sich das Führungsteam für die Transformation entschieden hat, die ganze Belegschaft mit auf die Reise nehmen.
  4. Pilotprojekt «Selbstorganisation» starten, auswerten und übertragen auf andere Bereiche.
  5. Tipp: Führungskräfte, die die Firma verlassen, nicht ersetzen.
  6. Professionelle Begleitung beiziehen – niemand besteigt den Everest ohne Bergführer.
  7. Genügend Ressourcen einplanen (Zeit und Budget).

Hierarchiefrei ist besser!

Mit FLOW-Kultur zum Management auf Augenhöhe von Peter Wyss 290 Seiten Im Buchhandel erhältlich. ISBN: 978-3-8006-6288-3

Fazit: Hierarchiefrei ist besser

Die Entwicklung einer Unternehmenskultur des Vertrauens und der Augenhöhe mit einem Abbau von Hierarchien ist ein durchwegs lohnendes Unterfangen, aufgrund unserer Konditionierungen und Gewohnheiten aber ein anspruchsvoller Weg, der eine volle Zuwendung und Unterstützung der Schlüsselpersonen benötigt. Es braucht ein neues Mindset und eine neue Methode: ein System, das auf Command and Control verzichtet und die Betroffenen zu Beteiligten macht. Hierarchiefrei ist nicht ebenbürtig, hierarchiefrei ist besser.

Über den Autor:

Peter Wyss, MA (lic.phil.), ist Begründer der FLOWKultur® und Autor des Buches «Hierarchiefrei ist besser! Mit FLOW-Kultur zum Management auf Augenhöhe». Seit 23 Jahren begleitet er Unternehmen auf dem Weg zu einer freiheitlicheren, menschlicheren Kultur mit involvierten und engagierten Mitarbeitenden – und verhilft ihnen zu mehr Freude, Flow und Erfolg. Seine Kernkompetenzen sind Kulturentwicklung, Teambildung und Coaching, auf Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch.

https://pwpartner.ch/

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