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Buchrezension «Polysecure»


Armin Müller | 03.02.2025

«Polysecure» von Jessica Fern. Eine Buchrezension von Armin Müller

Als jemand, der seit vielen Jahren nicht nur selbst in polyamoren Beziehungsmodellen lebt, sondern auch als Coach und Berater für Menschen in offenen Beziehungen tätig ist, betrachte ich „Polysecure“ von Jessica Fern als ein herausragendes Werk, das Theorie und Praxis auf beeindruckende Weise miteinander verknüpft. Dieses Buch liefert nicht nur tiefgehende Einblicke in die psychologischen und emotionalen Dynamiken, die polyamore Beziehungen prägen, sondern bietet auch konkrete Anleitungen, um emotionale Sicherheit in diesen Beziehungsformen zu kultivieren – ein Thema, das mir in meiner täglichen Arbeit immer wieder begegnet.

Fundierte Theorie trifft auf praxisnahe Ansätze

Was mich besonders an „Polysecure“ fasziniert, ist die gelungene Integration der Bindungstheorie in den Kontext polyamorer Beziehungen. Jessica Fern schafft es, komplexe psychologische Konzepte verständlich darzustellen, ohne dabei den Blick für die praktische Umsetzung zu verlieren. Als Coach weiss ich, wie wichtig es ist, dass Klientinnen und Klienten nicht nur theoretisches Wissen erwerben, sondern auch konkrete Werkzeuge an die Hand bekommen, um ihre Beziehungen nachhaltig zu gestalten. In diesem Zusammenhang bietet das Buch wertvolle Einsichten – etwa wie frühe Bindungserfahrungen, Traumata und individuelle Bindungsstile die Art und Weise beeinflussen, wie wir in späteren, auch polyamorösen Beziehungen agieren.

Die detaillierte Darstellung der verschiedenen Bindungsstile hat mir dabei oft als Ausgangspunkt gedient, um mit meinen Klienten deren Beziehungsmuster zu hinterfragen und alternative Verhaltensweisen zu entwickeln. Fern zeigt auf, dass es nicht primär um die Anzahl der Partner oder Beziehungsmodelle geht, sondern um die Frage, wie wir emotionale Sicherheit und stabile Bindungen schaffen können. Dieses Umdenken ist für viele von meinen Klienten ein befreiender Moment, und genau hier setzt „Polysecure“ an – indem es dazu ermutigt, alte Denkweisen zu hinterfragen und neue Perspektiven zu entwickeln.

Emotionale Sicherheit als Schlüssel in offenen Beziehungen

Ein zentrales Thema, das immer wieder in meiner Beratungspraxis auftaucht, ist die Angst vor emotionaler Instabilität in polyamoren Konstellationen. Viele Menschen befürchten, dass das Öffnen der Beziehung zu einem Verlust der Kernbeziehung oder zu übermässiger Eifersucht führen könnte. In „Polysecure“ wird dieses Thema jedoch differenziert betrachtet. Fern argumentiert überzeugend, dass emotionale Sicherheit nicht zwangsläufig unter der Öffnung der Beziehung leidet – vielmehr kann sie, wenn sie bewusst gepflegt wird, sogar vertieft werden.

Die Autorin stellt zahlreiche Strategien vor, wie Paare und Einzelpersonen lernen können, in einer offenen Beziehungsdynamik klare Grenzen zu setzen, ihre Bedürfnisse offen zu kommunizieren und dabei gleichzeitig die emotionale Nähe zur Kernbeziehung zu bewahren. Diese Ansätze sind für mich als Coach von unschätzbarem Wert, da sie nicht nur theoretisch fundiert, sondern auch in konkreten Fallbeispielen und Übungen veranschaulicht werden. Die praxisorientierten Tipps helfen dabei, emotionale Reaktionen wie Eifersucht oder Unsicherheit als natürliche Signale zu verstehen, die bei richtiger Bearbeitung zu persönlichem Wachstum und einer stärkeren Beziehung führen können.

Persönliche Resonanz und professionelle Anwendungen

Was mich als erfahrener Polyamorie-Coach besonders beeindruckt hat, ist die Art und Weise, wie „Polysecure“ die Verantwortung jedes Einzelnen für das eigene emotionale Wohlbefinden betont. Es wird klar gemacht, dass weder die Anzahl der Partner noch externe Umstände allein darüber entscheiden, ob wir uns sicher und geliebt fühlen – vielmehr sind es unsere inneren Ressourcen und die Qualität unserer Kommunikation. Diese Erkenntnis hat mich in meiner Arbeit immer wieder bestärkt, Klienten zu ermutigen, an ihrer eigenen Resilienz und Selbstreflexion zu arbeiten.

Für viele meiner Klienten, die bereits Erfahrung mit polyamoren Beziehungen haben, liefert das Buch zudem neue Impulse, um festgefahrene Beziehungsmuster aufzubrechen. Die Vorstellung, dass emotionale Sicherheit aktiv gestaltet und kontinuierlich gepflegt werden muss, ist ein wesentlicher Bestandteil des Buches. Es fordert dazu auf, regelmässig innezuhalten und sich zu fragen: „Wie fühle ich mich in dieser Beziehung wirklich?“, „Welche Bedürfnisse bleiben unerfüllt?“ und „Wie kann ich durch bewusstes Handeln zu mehr Stabilität beitragen?“ Diese Fragen bilden in meinen Coachings oft den Ausgangspunkt für tiefgehende Gespräche und Veränderungsprozesse.

Integration in den Beratungsalltag

Ein weiterer Pluspunkt von „Polysecure“ ist die umfangreiche Sammlung an Übungen und Reflexionsfragen, die direkt in den Beratungsalltag integriert werden können. Als Coach arbeite ich regelmässig mit Visualisierungen, systemischen Aufstellungen und Kommunikationsübungen – viele dieser Methoden werden in Ferns Buch ebenfalls aufgegriffen und mit einem polyamorösen Kontext versehen. Dadurch entsteht ein interdisziplinärer Ansatz, der es ermöglicht, die individuellen Bedürfnisse der Klienten zu berücksichtigen und gleichzeitig die Dynamik der offenen Beziehung zu verstehen.

Für mich persönlich hat das Buch auch den Vorteil, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur theoretisch erläutert, sondern sie auch in den Alltag überträgt. Die Verbindung von Bindungstheorie, Traumaheilung und polyamoren Lebensentwürfen ist ein komplexes Feld, das oft als widersprüchlich empfunden wird. Jessica Fern gelingt es jedoch, diese verschiedenen Ebenen harmonisch zu verknüpfen und dadurch ein kohärentes Konzept zu präsentieren, das mir als Berater wertvolle Impulse gibt.

Ein kleiner Kritikpunkt, den ich habe, ist, dass das Buch manchmal sehr theoretisch wird, insbesondere in den Abschnitten über die Bindungstheorie. Während dies für mich als Coach sehr nützlich ist, könnte es für manche Leser, die eher praktisch orientiert sind, etwas überwältigend sein. Dennoch überwiegen die positiven Aspekte bei Weitem, und ich bin überzeugt, dass jeder, der sich mit Polyamorie auseinandersetzt, von diesem Buch profitieren kann.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass Polysecure ein Meilenstein in der Literatur über Polyamorie ist. Es bietet nicht nur ein tiefes Verständnis der Bindungsdynamiken, sondern auch praktische Werkzeuge, um gesunde und erfüllende Beziehungen zu gestalten. Als erfahrener Polyamorie-Coach kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen. Es ist eine wertvolle Ressource für jeden, der sich mit Polyamorie beschäftigt, sei es persönlich oder professionell. Jessica Fern hat mit Polysecure ein Werk geschaffen, das nicht nur informativ, sondern auch transformativ ist und das Potenzial hat, die Art und Weise, wie wir Beziehungen verstehen und leben, grundlegend zu verändern.

Armin Müller

Originaltitel: Polysecure. Attachment, Trauma and Consensual Nonmonogamy
ISBN 978-3-910590-02-1



PS: Zum Buch gibt es optional auch ein passendes Workbook, wo die einzelnen Übungen zur Selbstreflexion zusammengefasst sind.

Originaltitel: The Polysecure Workbook. Healing Your Attachment and Creating Security in Loving Relationships
ISBN 978-3-910590-07-6

 

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