Bert Hofmänner | 12.09.2022
Der Mensch ist, wenn er zur Welt kommt, nicht überlebensfähig. Speziell in der westlichen Welt brauchen die meisten von uns deutlich über 10 Jahre, bis wir eigenständig überleben könnten. Das Überleben eines Kindes hängt somit von den Eltern oder anderen Bezugspersonen ab. Diese Abhängigkeit realisieren wir als Kinder intuitiv.
Jedes Anzeichen verlassen zu werden, kann bei Kindern darum existentielle Ängste auslösen, weil sie um das eigene Überleben fürchten. Darum sind es nicht nur tragische Erlebnisse, welche bei uns Traumata verursachen. Wenn ein Kind in wichtigen Momenten nicht genügend Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung erhält, kann dies ebenso traumatisch wirken. Diese traumatisierenden Erlebnisse treten in alltäglichen familiären Konflikten auf.
Um unser Überleben zu sichern, verschliessen wir unser Innerstes und legen uns Strategien zurecht, welche darauf fokussieren, möglichst viel Aufmerksamkeit von unseren Eltern zu bekommen. Liebe und Aufmerksamkeit unserer Bezugspersonen sind uns wichtiger als Selbstverwirklichung. Darum können diese Strategien bis zur Selbstaufgabe führen. Wir fühlen uns sicherer, selbst wenn unsere eigenen Verhaltensmuster eigentlich unseren eigenen Bedürfnissen zu wider laufen.
Die Folgen im Erwachsenen Leben sind, dass ich nicht mehr genau spüre, was ich wirklich will und wer ich bin. Meine unbewussten Muster sabotieren mein Leben: Manche Dinge ziehen mich übersteigert an (Suchtverhalten), einige stossen mich über ein gesundes Mass ab (Trigger, Widerstand) oder nochmals andere blockieren mich (Angst, Scham). So gelingt es mir nicht, den Weg zu gehen, den ich mir eigentlich vorgenommen habe.
Mein Leben dreht sich gefühlt im Kreis. Ich sehe mich mit immer ähnlichen Situationen konfrontiert und scheitere immer an den gleichen Herausforderungen. Ich werde in meinem Leben keine Erfüllung finden, wenn ich nicht weiss, wer ich bin, was ich will und mich mit meinen Mustern immer wieder selber sabotiere.
Was kann ich aber tun, um den Teufelskreis meiner Muster zu durchbrechen? Unsere Muster sind darauf angelegt, die traumatisierenden Gefühle zu verdrängen. Das Verdrängen braucht viel Energie und wirkt höchstens oberflächlich und kurzfristig. Um meine Muster zu durchbrechen, muss ich aufhören davon zu rennen. Ich muss meiner Angst ins Auge blicken. Ich muss meine Wutenergie mobilisieren, damit Sie mir hilft, meinem Drachen ins Auge zu blicken und mit ihm zu kämpfen. Im Kampf mit dem Drachen wird der Punkt kommen, wo meine Wut den Schmerz der Verletzung frei legt. Und wenn ich dann den Schmerz zulassen kann, ihn ganz spüre, werde ich merken, dass der Schmerz mich nicht umbringt, sondern frei macht. Wenn ich so in das Gefühl eines inneren Friedens finde, löst sich das Trauma auf. Ich kann den Personen vergeben, die mich verletzt haben. Aber noch viel wichtiger: ich kann mir selbst vergeben. Ich finde Frieden in mir selbst.
Diese Arbeit ist kein einmaliger Prozess. Er läuft wieder und wieder. Trauma für Trauma. Und jedesmal werde ich ein bisschen leichter. Jedesmal gewinne ich etwas mehr Bewusstsein, wer ich bin und was ich will. Und jedesmal kann ich ein Muster loslassen, das mir nicht mehr dienlich ist. Wenn ich besser spüre, wer ich bin und was ich will und mich von externen Dingen weder ablenken noch blockieren lasse, dann beginnt mein Wirken sein Potential zu entfalten.
Für mich ist es der Weg in die Verantwortung. Ich übernehme Verantwortung für mein Empfinden und meine Handlungen. Ich gebe nicht mehr anderen die Schuld, dass mein Leben nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle. Ich beginne zu reflektieren, was ICH in den Situationen, die in meinem Urteil falsch gelaufen sind, anders hätte machen können. Wenn ich dabei ernsthaft hinschaue, gibt es immer etwas, wo ich eine andere Wahl hätte treffen können. Das zu realisieren hat zwei Seiten: einerseits sehe ich, dass ich eine Möglichkeit habe, etwas zu verändern. Andererseits ist da auch die Verantwortung, die dies mitbringt. Und die Versuchung könnte gross sein, nicht doch den anderen die Verantwortung über mein Wohlergehen zu übergeben. Denn das ist viel einfacher.
Der Weg der Verantwortung ist nicht einfach. Es bedeutet, dass ich bei mir selber ganz genau hinschauen muss. Und wenn ich das tue, dann werden früher oder später die Traumatas meiner Kindheit zum Thema. An den Ort der grössten Verletzung zu gehen und gestärkt daraus hervorzukommen, ist was ich unter Arbeit an mir selber verstehe. Es ist etwas vom Schwierigsten, gleichzeitig aber auch etwas vom Erfüllensten, was ich im Leben kenne.
Glücklicherweise gibt es viele Methoden und Wege, wie Mann das tun kann. Es gibt dabei kein Richtig oder Falsch. Vielmehr geht es darum, dass jeder den Weg findet, der zu ihm passt. Die Stärke des Männer Netzwerk Schweiz ist, dass es viele dieser Wege präsentiert. Eine weitere Tatsache ist es, dass es einfacher ist, aus dem Teufelskreis auszubrechen, wenn ich mir Hilfe hole. Wenn ich es nicht allein versuche. Ich alleine merke vielleicht nicht einmal, dass ich mich im Kreis drehe. Wenn ich mir Hilfe hole, besteht die Chance, dass jemand von aussen das viel besser realisiert als ich selber.
Mich persönlich begeisterte das New Warrior Training Adventure (NWTA) vom ManKind Project (MKP – www.mkpsuisse.ch). Daran beeindruckte mich, dass ich von ganz normalen Männern zu meinen Drachen geführt und in meiner Arbeit unterstützt werde. Ich habe im MKP eine Gemeinschaft von Männern gefunden, wo ich andere im Wachstum begleite und Unterstützung für mein Wachstum von anderen bekomme. Das Gefühl dieses Gegenseitig-Füreinander-Daseins möchte ich in meinem Leben nicht mehr missen. Es hat mich zur Erkenntnis geführt, dass ich die Welt nur verändern kann, wenn ich mich selbst verändere. Die Arbeit an uns selbst verändert die Welt.