Stefan Kuster | 29.10.2022
In einem vor knapp einem Jahr auf zentralplus.ch erschienen Interview wurde ich von der Interviewerin gefragt, weshalb ich als Männerberater nicht von Pornos angetan sei?
Müsste ich nun unterscheiden, ob ich als Männerberater antworte oder aus eigener Erfahrung? Und dabei stelle ich grad jetzt fest, dass ich ohne die Erfahrung selbst Pornografie konsumiert zu haben und ohne die Erkenntnis, dass dies mein Liebesleben beeinträchtigt hatte, ja dass ich ohne diese Erfahrung heute wohl nicht mit der nötigen Distanz erzählen könnte. Somit antworte ich heute als Männerberater mit selber gemachter Erfahrung.
Damals sagte ich: «Ich empfehle als Erstes, mit dem Konsumieren von Pornos aufzuhören, die Bilder erzeugen, die der Realität schlicht nicht entsprechen.» oder «Pornos schüren Bilder im Kopf, die beim realen Sex vom Gegenüber ablenken. Sie lenken ab vom eigentlichen Ziel: sich auf die Frau einzulassen, mit welcher der Mann unterwegs ist.»
Einfacher gesagt als getan wirst Du jetzt wohl denken. Wie kann ich einfach so mit dem Pornokonsum aufhören? Und die banale Antwort lautet: «So, wie Du mit dem Rauchen oder dem Alkoholkonsum auch aufhören kannst! Mit Einsicht!» Doch mehr dazu später.
Ich möchte Dir lieber Mann erst ein paar Fragen stellen. Es geht darum ehrlich zu sein mit Dir selbst. Tief in Dich zu blicken und Dir einzugestehen, warum Du Pornos konsumierst. Die Gründe liegen vermutlich tief verborgen und es braucht schon ein wenig Arbeit an Dir selbst, um dorthin vorzudringen, wo die Wahrheit liegt.
Warum bis Du unglücklich? Warum schaust Du dir Bilder von kopulierenden Paaren an? Was ist es, was diese Geilheit in Dir aufsteigen lässt, dieses Gefühl von Macht und Kontrolle und Unterwerfung der Frau? Warum macht es Dich an, wenn Du die Frau stöhnen hörst, dieser Moment wo sie willenlos und Dir komplett ausgeliefert scheint? Warum erregt Dich der Anblick einer feuchten Körperöffnung? Was denkst Du verbirgt sich dahinter? Wovor hast Du Angst? Lass diese Fragen wirken. Die Antworten werden sich vielleicht später zeigen.
Pornos schauen unterstützt die schnelle Selbstbefriedigung. Selbstbefriedigung heisst, sich selbst zu befriedigen. Doch wie lange hält dieser Selbst-Frieden an? Seien wir ehrlich: ein paar Sekunden, vielleicht höchstens ein paar Minuten. Dann lässt das euphorische Gefühl nach und das Verlangen nach mehr zeigt sich wieder. Das hat Suchtpotenzial. Erkennst Du diesen Teufelskreis?
Pornos schauen ist fantasieren. Du fantasierst beim Pornoschauen. Es ist eine eingebildete Wunsch-Realität. Bist Du dann aber mit Deiner realen Frau intim, seid ihr nicht mehr zu zweit, sondern zu dritt! Du siehst den real physischen Körper seiner Partnerin vor Dir und denkt dabei vermutlich an die Frau aus dem Porno. Die Frau merkt das - auch wenn sie es nie zugeben würde. Sie fühlt sich gekränkt. Willst Du das Deiner Frau antun? Sie penetrieren, während Du an eine fiktive Frau denkst? Eine Frau wird nie glücklich werden mit mechanischem Sex. Sie will geliebt werden!
Pornos schauen ist experimentieren. Ein Experiment, Neues in der Sexualität zu probieren, bei dem Du jedoch vorerst bloss Zuschauer bist. Als Zuschauer bist Du nicht beteiligt und fernab vom Erleben - vom selbst erfahren. Wie wäre es, wenn Du mit Deiner Partnerin über Deine Fantasien sprichst? Vom heimlichen Pornokonsum zum ehrlichen und mutigen Austausch über das, was Dich bewegt in der Sexualität.
Zurück zum «Verzicht». Du kannst auf Porno verzichten, genau wie auf das Rauchen einer Zigarette - mit Willenskraft. Du redest Dir einfach ein, wie schlecht es für Dich sei. Auf diese Art dem Porno fernzubleiben, kostet Dich Kraft und Energie, ist also nicht der richtige Weg. Wenn Du hingegen am eigenen Leib erfahren hast, was es bedeutet wahrhaft zu lieben, Liebe zu machen, diese göttliche Verbindung zwischen Mann und Frau, dann wirst Du die Wahrheit erkennen und keine Lust mehr auf Pornos haben. Und selbst wenn einmal die Lust darauf so stark wird, dass Du dir ein Video reinziehst, wirst Du es mit anderen Augen betrachten, weil Du den Unterschied zwischen Sex und Liebe erlebt hast.
Vielleicht hast Du es bemerkt? Ich schreibe von «Liebe machen». Für mich war die Erkenntnis des Unterschieds zwischen Sex und Liebe, die Erlösung von ganz vielem. Von Erwartungsdruck, von Versagensängsten, von Erwartungen, von Selbstzweifeln und von falschen Vorstellungen, was die Lust der Frau angeht. Dies hat mir nicht nur mehr Erfüllung in der Sexualität gebracht, sondern auch Einsicht und damit den ganz natürlichen Verzicht auf Pornografie.Zur Person
Stefan Kuster (Jg. 1974) unterstützt in seiner Beratungspraxis in Luzern Männer in Themen wie: Beziehung und Sexualität, Trennung oder Scheidung, Vater werden oder Vater sein, Job oder Jobverlust, Burnout, Gesundheit, Trauer. Weiter ist er als stv. Leiter des Männerhaus Luzern und als Referent für das Väternetzwerk tätig. Ehrenamtlich betreut Stefan Kuster mit einem Team Freiwilliger die kostenlose Erstberatung von männer.ch und leitet eine offene Männergruppe in Luzern.
Stefan Kuster – Lebensberatung ¦ Männerarbeit ¦ Coaching: www.freiheut.com
Väternetzwerk für Vereinbarkeit von Familie und Beruf: www.vaeternetzwerk.ch
Kostenlose Erstberatung: www.maenner.ch
Männergruppe «MännerZeit Luzern»: www.maenner-netzwerk-schweiz.ch